Von Leadership zu Followership

Früher galt in der Wirtschaft ein fester Grundsatz: Die Grossen fressen die Kleinen. Dass das einmal nicht mehr wichtig ist, konnten sich unter den Top Managern bis vor kurzem nur wenige vorstellen. Heute aber gilt: Die Schnellen fressen die Langsamen. Es geht darum, möglichst schnell auf sich verändernde Bedingungen reagieren zu können. In der Taxibranche ist kein Stein mehr auf dem anderen geblieben, seit Uber die Regeln völlig neu definiert hat. Dass so etwas einem digitalen Unternehmen gelingen könnte, das nicht einmal eigene Fahrzeuge besitzt, galt eigentlich als unmöglich. Aber eben nur eigentlich. Für alle anderen Branchen kommt dies einem Weckruf gleich. Es ist sinnvoll, darüber nachzudenken, wie man reagieren sollte, wenn in der eigenen Branche ein Wettbewerber wie Uber auftauchen würde.

  • 21. Januar 2020, 10:00
  • Entrepreneurship

Henry Ford wird das folgende Zitat zugeschrieben: «Wenn ich meine Kunden gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie geantwortet: schnellere Pferde.» Wenn wir mit der gleichen Logik an die Unternehmensführung herangehen würden, müsste man die Anforderungen an die CEO’s und ihre Geschäftsleitungen erhöhen, um schneller und flexibler agieren zu können. Gelangen wir aber zu der Erkenntnis, dass ein grundsätzliches Umdenken notwendig ist und viele schnelle Teams einem einzelnen schnellen CEO um ein Vielfaches überlegen sind, dann müssen wir uns mit neuen Ansätzen für die Kooperationsqualität in Teams beschäftigen.

Google hat vor ein paar Jahren eine interessante Studie im eigenen Unternehmen durchgeführt. Mit Hilfe des Projektes «Aristoteles» wollte Google herausfinden, worin der Unterschied zwi-schen Teams mit konstant hohen Leistungen und eher durchschnittlichen Teams besteht. Das Ergebnis war durchaus überraschend, denn als entscheidend für eine nachhaltig hohe Team-leistung hat sich die sogenannte psychologische Sicherheit herausgestellt. Bei diesem Ansatz, den die Harvard Professorin Amy Edmondson 1999 als erste wissenschaftlich beschrieben hat, wird eine Kultur innerhalb von Teams etabliert, die es den Mitgliedern erlaubt, sich einzubringen und sich frei zu äussern, ohne negative Reaktionen seitens der Vorgesetzten und der anderen Teammitglieder befürchten zu müssen. Teams mit einer hohen psychologischen Sicherheit unterscheiden sich von anderen erstens vor allem dadurch, dass alle ungefähr die gleichen Rede-anteile in Diskussionen haben, und zweitens durch eine stärker ausgeprägte Wahrnehmungsfä-higkeit, sich in die Denkweise und Situation der anderen Teammitglieder hineinzuversetzen.

Diese Erkenntnis wurde unter anderem in einem amerikanischen Forschungsprojekt bestätigt, bei dem es um die Messung der Qualität von Führungsbeziehungen ging. Die drei Forscherin-nen Stephanie J. Creary, Brianna Barker Caza und Laura Morgan Roberts fanden 2015 heraus, dass in einer Führungsbeziehung nur dann ein Mehrwert geschaffen werden kann, wenn sich beide Seiten – Vorgesetzte und Mitarbeitende – für eine inkludierende Grundhaltung entschei-den. Im Gegensatz zu einer exkludierenden Haltung, bei der sich die Beteiligten ausschliesslich auf der Ebene der Arbeitsidentität begegnen, interessieren sich Menschen mit einer inkludie-renden Einstellung nicht nur für die Aspekte und Perspektiven anderer Personen, die für die zu bewältigende Arbeit relevant sind, sondern für die Menschen insgesamt mit ihren beruflichen und persönlichen Wertvorstellungen.

Wenn wir also als Unternehmen schneller werden und zusätzlich die Qualität der Teamarbeit steigern wollen, ist nicht die klassische Leadership entscheidend, sondern vor allem die Followership, d. h. die Art und Weise, wie wir als Menschen miteinander kooperieren. Wir müssen uns für die Entwicklung von Unternehmenskulturen entscheiden, die nicht auf messbare, indivi-duelle Ziele setzen, um einen Wert für die Shareholder zu erzeugen, sondern auf gemeinsame Werte, um auf dieser Basis einen Mehrwert für alle Stakeholder zu schaffen. Konkret geht es um die Kernwerte Respekt, Vertrauen und Wertschätzung, die früher jeweils in die Ecke der betriebswirtschaftlich wenig relevanten Soft-Faktoren gestellt worden sind. Seitdem wir wissen, dass diese Kernwerte die Grundpfeiler der psychologischen Sicherheit sind und eben diese psychologische Sicherheit für die Leistung von Teams entscheidend ist, beginnen auch Manager sich für Followership zu interessieren, die sich früher nur für Leadership interessiert haben.

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Matthias Mölleney

2005 gründete er die Beratungsfirma peopleXpert gmbh in Uster. Er berät und begleitet Unternehmen und Führungskräfte in Veränderungssituationen und in Fragen von Führung und professionellem Personalmanagement. Zudem leitet er seit 2009 das Center für Human Resources Management & Leadership an der HWZ Hochschule für Wirtschaft in Zürich, unterrichtet aber auch an weiteren nationalen und internationalen Hochschulen und ist Autor des Buches «Die Zukunft möglich machen» sowie zahlreicher Veröffentlichungen im Bereich Leadership, Personalmanagement und Change-Management. Ausserdem ist Matthias Mölleney Präsident der ZGP Zürcher Gesellschaft für Personal-Management und Direktor am internationalen Think Tank «The Future Work Forum».